Laura Aha: “Diesen Pessimismus der älteren Generation teile ich persönlich nicht”
Kannst du dich an den ersten musikjournalistischen Text erinnern, den du gelesen hast?
Laura Aha: Das erste Mal, dass ich bewusst ein Musikmagazin in der Hand hatte, muss 2011 gewesen sein. Damals war ich mit meiner besten Schulfreundin im Urlaub in Berlin. Weil wir uns dort überhaupt nicht auskannten, hatten wir das Gefühl, am Hackeschen Markt das Epizentrum des Underground entdeckt zu haben. In einem Café nahm ich die INTRO mit und war fasziniert von der knallbunten Magazinästhetik und der Sprache, die man für Popmusik finden kann. Worum es in dem Artikel genau ging, weiß ich nicht mehr. Aber an das Gefühl, einen Schatz an Spezialwissen in der Tasche zu haben, erinnere ich mich noch genau.
Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das in dir den Wunsch geweckt hat, selbst musikjournalistisch zu arbeiten?
Kein Schlüsselerlebnis – es waren eher die Menschen, die mich auf dem Weg in den Job begleitet haben. Die mich immer wieder ermutigt haben, Schreiben zu einem echten Beruf zu machen. SPEX-Mitgründer Olaf Karnik, der meinen ersten Konzertbericht über DAF witzig fand. Meine Freundin Silvia Silko, die mich an einen Musikblog weiter empfahl. Ex-GROOVE-Chefredakteur Heiko Hoffmann, der mich in der zweiten Praktikumswoche ein Interview für die Printausgabe führen ließ. Wahrscheinlich war es dieser Moment, das gedruckte Heft aufzuschlagen und den eigenen Namen zu lesen. Ein bisschen Narzissmus braucht man für diesen Job ja schließlich auch.
Was reizt dich am Format Musikjournalismus? Was zeichnet für dich guten Musikjournalismus aus?
Guter Musikjournalismus prägt den gesellschaftlichen Diskurs. Nirgendwo sonst spiegelt sich der Zeitgeist so unmittelbar wie in der Popkultur: Beyoncé lehrt uns mehr über Repräsentation als jede Quotendebatte. Taylor Swift mehr über Kapitalismus als das neue Buch von Bernie Sanders. Und eigentlich ist der ja selbst schon eine popkulturelle Figur. Guter Musikjournalismus hört genau hin, kontextualisiert und liefert das Narrativ bzw. die Sprache, um darüber kritisch zu sprechen.
Gibt es einen Lieblingsbeitrag (von anderen Musikjournalist:innen)?
Ich mochte die scharfe Analyse „Techno auf TikTok: Schnelle Brillen und sehr viel Cringe“ von Cristina Plett zu TikTok-Rave für GROOVE 2022, weil sie darin genau das gemacht hat: Aus der Flut einzelner Video-Schnipsel einen Trend erkennen, eine Erzählung schaffen und dadurch eine kritische Analyse des Status Quo der Technoszene destillieren.
Dieselbe Frage auch für dich selbst: welchen Beitrag aus deinem Werkskatalog ordnest du aktuell als deinen wichtigsten ein?
Der Beitrag, der am meisten Aufmerksamkeit bekam und auf den ich immer noch angesprochen werde, ist wohl die GROOVE-Reportage „Gelebte Utopie“ über das Weimarer Kollektiv Giegling aus dem Jahr 2017. Ein Jahr nach #MeToo trug dieser Artikel mit dazu bei, dass endlich eine größere Diskussion über Sexismus und strukturelle Ungleichheit innerhalb der DJ-Szene geführt wurde. Der Artikel bekam auch international eine Aufmerksamkeit, die wir uns als kleines Techno-Magazin vorher kaum hätten vorstellen können. Es war eine zentrale Erfahrung für mich, dass auch Musikjournalismus in Underground-Magazinen gesellschaftliche Debatten anstoßen kann.
Gibt es einen unveröffentlichten Beitrag von dir, den du schon immer gerne mal publizieren wolltest, es sich aber nicht ergeben hat? Kaput biete sich im Rahmen der Serie gerne dafür an.
Nope, ich schreibe nur wenn ich dafür bezahlt werde ;))
Deine 3 Lieblings-Musikjournalist:innen?
Christine Kakaire – wir schreiben gemeinsam die Berghain-Kolumne und ich liebe die poetische Art, wie sie Dancemusic beschreibt. Außerdem ist sie eine großartige Moderatorin, der ich stundenlang zuhören möchte.
Kristoffer Cornils – weil er einfach ein wandelndes Musikkultur-Lexikon ist. Außerdem nimmt er die Musikindustrie immer wieder auch unter einer kapitalismuskritischen Linse in den Blick und entwirrt wirtschaftliche Zusammenhänge, die hinter der Branche liegen.
Julia Lorenz – weil sie sehr eigenwillige Thesen findet und diese sehr klug verargumentiert. Lustig ist sie dabei auch noch – was ja wirklich die hohe Kunst des Schreibens ist.
Und über den eigenen Horizont hinaus: wie empfindest du den Status Quo des Biotops Musikjournalismus im Jahr 2024 im Vergleich zu früher?
Ich bin seit zehn Jahren in diesem Feld aktiv und höre seitdem, dass ich „die guten Jahre“ ohnehin verpasst habe. Ich bin daher mit sehr niedrigen Erwartungen in diesen Job eingestiegen und heute manchmal selbst überrascht, dass ich daraus trotzdem einen echten Beruf für mich machen konnte. Diesen Pessimismus der älteren Generation teile ich persönlich also nicht. Ich denke, man muss sich heute eher Spezialwissen aneignen, eine individuelle Nische erschaffen und ein stückweit auch „eine eigene Marke“ werden. Das klingt sehr nach Verwertungslogik, ist aber im Social-Media-Age und in Zeiten, in denen die alten Magazinstrukturen als Identifikationsmedien wegbröckeln leider die Realität. Gleichzeitig finde ich es gut, dass die häufig cis-männlichen Gatekeeper in den Traditionsmedien an Einfluss verlieren. Das Internet bietet heute endlose Möglichkeiten, ohne viel Budget eigene Dinge zu starten: Newsletter, Podcasts, Radioshows, Workshops, Panels. Das Biotop Musikjournalismus ist unübersichtlicher geworden. An spannendem, kreativem Output mangelt es aber keineswegs.
Stichwort Karriere. Ab wann war Musikjournalismus für dich eine Berufsoption?
Als ich mein Volontariat beim Musikexpress angefangen habe und zum ersten Mal nicht mehr kellnern musste, um mein Schreiben zu finanzieren. Ich glaube, mir hat die Journalistenschule das nötige Handwerk beigebracht und zudem das Selbstvertrauen in meine Fähigkeiten gegeben. Gerade als Frau hat man in dieser Welt häufig das Gefühl, sich doppelt und dreifach beweisen zu müssen. Der Kontakt und die Netzwerke zu anderen FLINTAs in dem Feld war daher für mich mindestens genauso wichtig wie die Ausbildung.
Bereust du die Berufswahl manchmal?
Selten. Vielleicht dann, wenn ich mir für eine Jury Musik anhören „muss“, die mich nicht interessiert, um sie schließend mit einer Zahl zu bewerten. Diese Art der Bewertung von Musik hab ich noch nie verstanden. Ansonsten ist Musikjournalismus ein so vielseitiges Feld, das für mich heute viel mehr als nur Schreiben ist: Panels moderieren, Radioshows machen, Workshops geben, interessante Menschen treffen. Die Sache mit der Gästeliste ist auch nicht so schlecht.