Talking Musikjournalismus: Wolfgang Frömberg – Status Quo Vadis Musikjournalismus

Wolfgang Frömberg: “Als meinen wichtigsten Beitrag betrachte ich die Redaktionsarbeit”

Wolfgang Frömberg

Kannst du dich an den ersten musikjournalistischen Text erinnern, den du gelesen hast?

Ich habe als Kind gerne die Bravo gelesen, da habe ich einfach alles verschlungen. Später im ME/Sounds mochte ich die Plattenkritiken mit den Bildern der Autor*innen drüber und der Info, was gerade auf ihrem “Plattenteller” liegt. Und auch die Rubrik “MÜV, Musikalischer Überwachungsverein”, so was Ähnliches wie nachher in Intro Platten vor Gericht, fand ich super.
1990 habe ich meine erste Spex-Ausgabe gekauft und erinnere mich unter anderem an das GWAR-Interview von Mark Sikora. Ich wusste nicht so recht, worum es in dem Gespräch ging, aber ich fand es sehr lustig. Diese Spex-Ausgabe war insgesamt sehr wichtig für mich. Leserbriefe, Überschriften, Layouts, all die komischen Bands und Autor*innen. Ich fand das alles äußerst spannend. Wie ein großes Rätsel, das ich verstehen wollte.

Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das in dir den Wunsch geweckt hat, selbst musikjournalistisch zu arbeiten?

Eigentlich ist das Schlüsselerlebnis gleichbedeutend mit der konkreten Möglichkeit, es zu tun. Als ich gefragt wurde, ob ich nicht auch mal eine Rezension oder einen Artikel für Spex schreiben wollte, da wollte ich es auch. Dann äußerte ich übermütig den Wunsch, meine Lieblingssängerin Cat Power zu interviewen. Der ging zufällig recht schnell in Erfüllung. Nachdem ich in der Redaktion von Spex landete, hatte ich eher damit zu tun, anderen zu erklären, dass ich nicht unbedingt Musikjournalist bin. Meine redaktionelle Verantwortung lag ja bei anderen Themenbereichen. Andererseits: Ich hatte schon Lust, mich mit Popmusik zu beschäftigen. Sie hat mein Leben sehr stark beeinflusst und ohne sie wäre ich logischerweise nie mit Musikjournalismus in Kontakt gekommen. Es passte schon.

Was reizt dich am Format Musikjournalismus? Was zeichnet für dich guten Musikjournalismus aus?

Es gibt viele Arten über Kultur nachzudenken und sich zu ihr zu verhalten, eben auch was Popmusik angeht. Das finde ich schon spannend, und wenn man die dann noch verschiedene Ansätze unter einem Dach gegeneinander und miteinander antreten lässt, dann wird es besonders interessant. Vor allem, wenn Amateure das machen, das Ganze nicht so professionell daherkommt. Bei Spex oder bei Intro habe ich es immer so empfunden, das jede/r Beteiligte eigentlich eine andere Idee vom Magazin hatte. Und dieses Durcheinander und das Ringen um eine gültige Definition des Ganzen hat dann die Hefte überhaupt erst ausgemacht. Es gibt also nicht DIE Spex oder DIE Intro, sondern nur die vielen unterschiedlichen Ideen davon und diese Differenzen sind DIE Spex oder DIE Intro. Bei der 25-Jahre-Spex-Feier im Rheinpark 2005 hatte ich das zu Beispiel das Gefühl, mehrere RAF-Generationen treffen aufeinander.

Gibt es einen Lieblingsbeitrag (von anderen Musikjournalist:innen)?

Könnte hier vieles nennen oder gar nichts. Sage einfach mal Kid P, “die Wahrheit über Hamburg”, aus der Sounds. Der ist so witzig, schlau eigen und doch fürsorglich. Der Verriss als Kompliment.

Dieselbe Frage auch für dich selbst: welchen Beitrag aus deinem Werkskatalog ordnest du aktuell als deinen wichtigsten ein?

Nee, kann ich so nicht sagen. Es gibt Geschichten, die mir persönlich einiges bedeuten. Und wenn die Artikel nur Gedanken enthalten, die ich später auf irgendeine Art und Weise weiterverfolgt habe, um mir bestimmte Phänomene gesellschaftlicher Entwicklungen zu erklären. Als meinen wichtigsten Beitrag betrachte ich eigentlich die Redaktionsarbeit an sich. Da haben ja viele auch kein bestimmtes Bild von, was diese Arbeit alles umfasst – aber diese Tätigkeit hat mich immer erfüllt. Dazu gehört sehr viel mehr als Schreiben, aber das Schreiben, davon bin ich ziemlich überzeugt, kann man an der Stelle auch am besten “lernen”. Insgesamt betrachte ich es als Glück, dass mein eigener Lernprozess, was Hören, Sehen, Denken, Schreiben angeht im Öffentlichen stattfinden konnte.

Gibt es einen unveröffentlichten Beitrag von dir, den du schon immer gerne mal publizieren wolltest, es sich aber nicht ergeben hat? Kaput biete sich im Rahmen der Serie gerne dafür an. 😊

Es gibt eine Menge Artikel im Kopf, die sind logischerweise nicht publiziert. Sonst fällt mir da nichts ein.

Deine 3 Lieblings-Musikjournalist:innen?

Vielleicht Sandra und Kerstin Grether. Soviel Haltung, soviel Kampfgeist, soviel Klugheit. Auch wenn mir die Hälfte der Musik, die sie verhandeln, wenig bedeutet, bewundere ich die beiden seit meiner Zeit als Spex-Leser in den 1990ern sehr. Und da ich im Anderen Buchladen das Exemplar von 1500 Schallplatten auswendig gelernt habe statt zur Uni zu gehen, muss ich einfach auch Diedrich Diederichsen nennen.

Du bist selbst seit den 90er Jahren als Autor aktiv. Was sind die einschneidendsten Veränderungen in deinem persönlichen Berufsprofil über diesen Zeitraum?

Ziemlich genau seit Anfang der Nullerjahre, Thomas ;). Und es gibt keine Musikmagazine mehr, die mich als Redakteur einstellen würden. Das ist die wichtigste Veränderung für mich persönlich.

Und über den eigenen Horizont hinaus: wie empfindest du den Status Quo des Biotops Musikjournalismus im Jahr 2024 im Vergleich zu früher?

Dafür müsste ich mehr musikjournalistische Texte lesen oder mich mehr mit der Situation beschäftigen. Ehrlich, ich weiß es nicht.

(Wie) kann man Musikjournalismus in das Storytelling von TikTok und Instagram überführen?

Keine Ahnung.

Stichwort Karriere. Ab wann war Musikjournalismus für dich eine Berufsoption?

So ein bisschen ab dem Moment, an dem ich plötzlich in der Redaktion von Spex saß. Und erst recht, als ich 2007 eine Festanstellung bei Intro bekam. Aber ich habe lange gebraucht, um einzusehen, dass man überhaupt einen Beruf braucht oder haben sollte. Insofern war das schon die richtige Wahl für mich. Viele denken eh: Musikjournalist – soll das ein Beruf sein?

Bereust du die Berufswahl manchmal?

Ich bereue nichts.

Letzter musikjournalistische Beitrag, der dir so richtig gut gefallen hat.

Irgendwann bin ich zuletzt auf Facebook über einen Eintrag von Oliver Tepel gestolpert, der Siouxsie Sioux leidenschaftlich gegen Leute verteidigte, die meinten, Künster*innen wie sie sollten doch (sinngemäß) mit dem Arsch zuhause bleiben, anstatt auf der Bühne vor aller Augen alt zu werden. So ungefähr. Olivers Text hat mir jedenfalls gefallen.
Theweleits Wellenroman “a-e-i-o-u – Die Erfindung des Vokalalphabets auf See, die Entstehung des Unbewussten und der Blues” habe ich vor kurzem gerne gelesen.
Und ich bin in einer alten Spex zufällig auf eine Rezension von Shunt zu Slimes “Wir wollen keine Bullenschweine” gestoßen. Die geht so: “GÄÄÄHN!!! Ein “möchtegern”-cover und innendrin monopogo aus 78. Trotz schwer zu verstehenden Textes, weil der sänger wegen des tempos nur noch was dahernuscheln kann, ist es offensichtlich: scheißbullen scheißsystem usw., typisch hamburger küche. ratatatatat PÄNG 1234 kotz” Sehr witzig, selbst wenn man die Sache anders sieht.

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