Record of the Week

Widowspeak „The Jacket”

Widowspeak
„The Jacket”

(Captured Tracks/Cargo)

Immer diese herumfliegenden Klamotten. Erst neulich schrieb ich hier bei der Rezension des neuen Cat Power-Albums über immer wieder neu zu bewertende, daher seltsame Jeanshemden. Chan Marshall wiederum stellt für Molly Hamilton und Richard Earl Thomas aka Widowspeak aus Brooklyn in ihrer Mischung aus Indie, Folk, Americana und Shoegaze eine wichtige Bedeutung dar. Die ehemalige De:Bug-Chefin und Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz beschreibt in einem Sammelband zu „Denimpop“ (Merve 2013) die Jeans und ihre Verarbeitungen als Symbol für die dynamischen kulturellen Umordnungen und Überlagerungen der Mächte und Welten, weil sie eben Arbeits- und auch Freizeit oder sogar Jugendrebellionskleidung wurde. Dann wieder trashig gebrochen, Museumsthema oder edle Laufstegmode und doch auch immer kommerziell im Sinne von erwerbbar und ökonomisiert sei. Auf dem Cover von „The Jacket“ befindet sich nunmehr eine Lederjacke. Und weckt Erinnerungen an ein ganz bestimmtes derartiges Modestück bei den neuseeländischen The Chills („I Love My Leather Jacket” von 1986). Widowspeak jedenfalls erzählen uns auf „The Jacket“ von Widersprüchen, Nachtleben, Bars, Wertewandel, Bedauern und Voranschreiten und damit sicher auch ein Stückweit über ihren Umzug nach New York. Da kommt mir Lou Reed in den Sinn. Hört mal „Forget It“ an und stellt Euch statt Mollys hauchendem Gesang das grummelnde Sprechen von Reed vor. Von Widowspeak selbst ins Spiel gebrachte Referenzen sind weiterhin Yo La Tengo, Neil Young, Cowboy Junkies sowie Richard und Linda Thompson. Das ließ sich ja schon auf den letzten Alben, vor allem „Plum“ aus 2020, klar heraushören, wie ich an anderen Stellen beschrieben habe.

Alle diese Querverweise, Links, Assoziationen und Geschichten: Widowspeak machen sie fruchtbar. Ihr sechstes Album erscheint mir nicht unähnlich den letzten musikalischen Aussagen speziell von Beach House. Deren Mixer Chris Cady hat hier nun auch Widowspeak gemischt. Wo aber Beach Hosue dann doch wieder schwermütiger und massiver wirken, entrücken Widowspeak den Untiefen fast schon fluffig unverschämt nah an den großen Mazzy Star, höre etwa das einleitende „While You Wait“, das verhuscht-schlingernde „Unwind“, das fatalistisch hoffnungsvolle und sanft explodierende „The Drive“ oder das nonchalant ausklingende „Sleeper“. Dabei sind Musik, Gesang und Inhalt bei Widowspeak keinesfalls lockerflockig. Aber die ganz große Geste scheint ihnen eher nebensächlich. Understatement mit Grandezza. Eine anti-rockistische, junge Lederjacke voller Geschichten, in der sich „Money“ auf „Honey“ reimen darf. Da möchten wir doch gleich mit in die rot gepolsterte Karre einsteigen, die ‚Jacket‘ auf die Rückbank werfen und auf dem Indie-Highway in eine bessere Welt herübergleiten.

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