Records of the Week

J. Zunz & Hugo Race Fatalists


J. Zunz „Del Aire” (Rocket Recordings/Cargo)
Hugo Race Fatalists „Once Upon A Time In Italy” (Santeria/Peermusic/Membran)


Ob sich diese beiden Musiker*innen unterschiedlicher Herkunft und Generation wohl persönlich oder zumindest von ihren Musiken her kennen? Für mich ergänzen sie sich perfekt. Also nicht hierarchisch wie bei einem Konzert mit Vorband, die genauso, besser oder meist ja doch schlechter als der Hauptact klingt, jedenfalls viel zu nah dran. Sondern wie aus zwei sehr unterschiedlichen Kosmen, die einander überlappen. Und wo wir schon im unendlichen All sind: Sphären, Schichten und Geschichten scheinen J. Zunz und Hugo Race immens wichtig, sie sind Schichtenerzählende.
 

Lorena Quintanilla vom mexikanischen Duo Lorelle Meets The Obsolete, hat mich schon mit ihrem letzten Solo-Album „Hibiscus“ unter dem Pseudonym J. Zunz sehr hypnotisiert. Knapp zwei Jahre später erscheint nun „Del Aire“. Zunz ist noch ein Stückweit entrückter geworden, ertastet mittlerweile offenhörbar die Zonen hinter den (alb-)traumhaften Rändern, der durchaus tolle Shoegaze oder Psychedelic Rock ihrer Hauptband ist noch weiter verschwunden und winkt nur noch schemenhaft hinter den Wäldern von Twin Peaks. David Lynchs Filme und auch Musik lassen hier grüßen, wobei letztere eher absoluter Mainstream verglichen mit Zunzs akustischen Übel-Reisen ist.

Im Ansatz der Musik ähnelt Zunz dann schon eher etwa einer klangtechnisch schlecht gelaunten Lucrecia Dalt, zumal, wenn beide auf Spanisch erzählen. Wo kommen nur alle diese Traumatisierungen der hier, nun ja, ‚singenden‘ „Queen of Nowhere“ (in „Cruce“) her? Sechs glibberig-klebrige, lange, fast manchmal an Wave und Industrial der Achtziger oder Spacemen 3-Kopf Sonic Boom, manchmal, wenn sie anfängt zu prügeln, wie auf „ Ráfaga“, gar an Pharmakon erinnernde Klangwolken-Biester ziehen eine/n wundervoll runter. Da ganz unten unter den minimalen Variationen und repetitiven Schlaufen und durchgeknallten Bläsern („Nina“) fühlt es sich gleich sehr viel besser an, ist der/die Erschöpfte plötzlich der/die Maker im Nichtstun und Erschlaffen. Ist das bitter – schön.

Der meistens in Melbourne leben Weltenbummler Hugo Race reiste einst als blutjunger Musiker nach Berlin, weil es dort so viel spannender als im nach eigener Aussage dort eher für Postpunk, Swamp Blues und Experimentelles ungeeigneten Australien. Also hinter Nick Cave her, dessen Birthday Party-Folgeband The Bad Seeds gleich mitbegründet und später immer mal begleitet. Ansonsten waren Races eigene Projekte Wreckery, True Spirit, Fatalists und das sensationell-minimalistische Ambient Blues- und Hooker-Ding mit Michelangelo Russo, der sich bei „Once Upon A Time In Italy“ fürs Cover Artwork verantwortlich zeigt, seine ureigenen und anders gelagerten Brennpunkte. Daneben nahm er mit Musiker*innen aus Mali, Chris Eckman, Chris Brokaw und zuletzt Murat Ertel als Dirtmusic wieder andere Perspektiven auf Blues auf (einen Vorgeschmack aufs kommende neue Album gibt es hier). Dort und auch mit der französischen Experimentalmusikerin Cathrine Graindorge tummelt sich Race weit hinaus in den Ozean des Ausprobierens . In der limitierten Doppel-LP des neuen Albums mit den Fatalists finden sich gleich noch auf einer E.P. vier ins Italienische übersetzte Versionen seiner neuen Songs. Italien und speziell Sizilien ist seine ihn faszinierende Wahlheimat geworden, monadenhaft isoliert in Melbourne nahm Race mit seinen italienischen Freunden und den Gästen Georgie Knight und TJ Howden auf, es entstand das neue Album. Erst ein wenig gewöhnlich und fast genügsam daherkommend, finden sich unter diesen auch hier wieder Schichten dann aber strahlende große Songs von Race dem Erzählenden.

Wieder mal hadert Race, ob er verlassen oder ankommen möchte, zu jung/alt oder gerade jung/alt genug ist. Und kleidet das in filmmusikartige Stücke wie „Atomized“, „Beat My Drum“, den epischen Titelsong inklusive Hommage an den bitteren Kaffee der Selbstsuche, den kargen Blues von „Mining The Moon“ oder die seid den Butthole Surfers seltsam-schönste sleazy schleichende Coverversion von Donovans „Hurdy Gurdy Man“. Ich habe nie verstanden, wieso Wim Wenders nie Hugo Race neben Nick Cave oder Crime & The City Solution auf seine wegweisenden Soundtracks („Der Himmel über Berlin“, „Bis ans Ende der Welt“, „In weiter Ferne, so nah“) gesetzt hat. „Hooked“ könnte der schillernde Abspann-Song nicht nur dieser Filme sein. Lass uns Abbitte leisten. Schön – bitter.

Wo Race schon deutlich vom swampy Underground (Punk) Blues kommt, hat sich Zunz aus der krachig-schuhglotzenden Neopsychedelia aufgemacht: Sie treffen sich auf der kathartischen Kreuzung der ungefälligen, zurückgezogenen Intensität.

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