“Die haben uns angerotzt, das glaubst du nicht!” – Brausepöter im Interview
Eine der frühesten Erinnerungen, die die BRD an das Phänomen Punk hat, hört auf den seltsamen Namen Brausepöter. Drei Typen aus Ostwestfalen mit einer genauso eindringlichen wie verknappten Ästhetik wurden Ende der 70er, Anfang der 80er Kult, ihr Song “Bundeswehr” fand sich auf unzähligen Mix-Kassetten der Zeit. Nach 40 Jahren hat sich die Band wieder zusammengefunden, veröffentlicht Musik jenseits von Nostalgie und Best-Of-Gedudel. Marc Wilde sprach mit Sänger und Songschreiber Martin Lück über ihr bemerkenswertes Comeback.
Martin, ihr seid mit Brausepöter mit die Ersten gewesen, die Ende der Siebziger vom Punk inspirierte Musik mit deutschen Texten gespielt haben. In letzter Zeit sind wieder einige Bands aktiv, die sich wie ihr an der Nahstelle von Punk, New Wave und Neue Deutsche Welle gegründet haben: The Wirtschaftswunder haben alte Raritäten veröffentlicht, Östro 430 treten zusammen mit Bärchen und die Milchbubis auf. Male hat Konzerte angekündigt. Und Fehlfarben, die ja nie ganz von der Bildfläche verschwunden waren, sind mit ihrem aktuellen Album in die TOP 20 der Deutschlandcharts eingestiegen. Hast Du eine Erklärung für diese Wiederbelebung der Vergangenheit?
MARTIN LÜCK Nein, habe ich nicht. Ich weiß auch gar nicht, wer von denen jetzt wieder neue Songs macht, von Fehlfarben mal abgesehen. Und wenn da nichts Neues kommt, was ich durchaus befürchte, dann haben die vielleicht auch gar nichts mehr zu sagen. Die können das von mir aus gerne machen. Wenn jetzt Male zum Beispiel live spielen sollten, dann werde ich da sicher hingehen. Und Peter Hein mal wieder sehen, auch super. Aber es gibt ja durchaus Bands, die spielen nur ihre 40 Jahre alte Songs, und das dann ohne Biss. Da frage ich mich schon: Was soll das?
An neuen Songs mangelt es ja nicht. Gerade ist Eure EP „Tourist“ erschienen, ein neues Album habt ihr auch schon fertig. Dennoch: Ihr wart über Jahrzehnte hinweg in der Versenkung verschwunden und habt dann 2015 mit „Selbstauslöser“ ein neues Album rausgebracht. Was war die Motivation?
Da muss man noch etwas weiter zurückgehen, bis ins Jahr 2008. Da bekamen wir aus heiterem Himmel eine Konzertanfrage. In unserer Heimatstadt Rietberg hatte eine Art Shakespeare-Theater aufgemacht – für die kleine Stadt ein großes Ding. Und da wurden wir gefragt, ob wir nicht zur Eröffnung spielen möchten, wir seien ja die einzige bekannte Band aus dem Umkreis. Das wollten wir erst nicht machen, weil die uns früher eher alle total bekloppt fanden. Und ich hatte auch keine Lust Lieder zu spielen, die ich mit 19 gemacht habe. Das passte mir alles nicht. Aber dann haben wir das zum Anlass genommen, einfach mal wieder zusammenzuspielen und das klappte so derartig gut. Unglaublich, nach so langer Zeit. Wir brauchten keine Aufwärmphase.
Und bis dahin hattet ihr gar keine Musik mehr gemacht?
Doch, ich schon, ich habe immer Musik gemacht, hatte auch andere Bands. Die anderen beiden mussten sich erst einmal wieder reinfinden. Aber Bernd, unser Bassist, und Kemper am Schlagzeug haben es noch voll drin gehabt. Weil das aus unserer Jugend kommt. Ist vielleicht wie Fahrrad fahren. Wir haben früher ja auch nichts anderes gemacht außer Musik.
Und wie kam es dann zu den neuen Songs?
Also, es war schon ziemlich klar, dass ich auf gar keinen Fall so eine Oldie-Kapelle aufmachen wollte. Dann kamen aber weitere Auftrittsanfragen und ich habe mir gedacht, okay, dann machen wir halt jetzt noch ein oder zwei neue Songs. Und plötzlich hatten wir ein ganzes Programm zusammen, mit dem wir dann auch aufgetreten sind. In der Zeit haben wir auch schon Songs gespielt, die hinterher auf „Selbstauslöser“ erschienen sind. Aber immer kombiniert mit „Bundeswehr“, „Immer der gleiche Scheiß“, „Keiner kann uns ab“ usw. Und solange die Leute nicht nur die alten Stücke von uns hören wollen, ist das auch in Ordnung.
Apropos „Keiner kann uns ab“. Der Song wurde vor einigen Jahren von Isolation Berlin gecovert. Und ihr seid dann auch öfter zusammen aufgetreten. Wie habt Ihr zusammengefunden?
Ja, das ist eine lustige Geschichte. Ich kann mich noch gut an unseren ersten Auftritt in Berlin erinnern, das war vor zehn Jahren, als wir im Antje Öklesund gespielt haben. Da stand so ein Typ vor der Bühne, der ist mir sofort aufgefallen, weil der unsere Songs kannte, auch die ganzen Texte. Es war Tobias Bamborschke, der spätere Sänger von Isolation Berlin. Irgendwann habe ich dann ein Video von „Keiner kann uns ab“ im Internet gesehen, also nur so ein Standbild, hinterlegt mit einem Proberaum-Sound. Aber nicht von uns. Nach einigen Umwegen habe ich dann herausgefunden, dass das Isolation Berlin waren. Sie waren damals noch vollkommen unbekannt, das war die erste Aufnahme von ihnen. So sind wir in Kontakt gekommen und auch bald gemeinsam aufgetreten. „Keiner kann uns ab“ war oft ihr Anfangssong, damit konnten sie sich identifizieren.
Zurück in die Vergangenheit: Ihr hattet ja einen Deal bei Zickzack Records, dem Label von Alfred Hilsberg. Hilsberg hat damals für die Sounds geschrieben und, so heißt es, auch den Begriff „Neue Deutsche Welle“ erfunden. Bei Zickzack ist dann Eure erste Single „Liebe, Glück, Zufriedenheit“ erschienen. Wie ist es zu dieser Aufnahme gekommen?
Daran können wir uns alle noch sehr gut erinnern, wir waren alles andere als zufrieden damit. Wir haben die später auf unserem Kompakt-Album [Komplett 1979-1991] so veröffentlicht, wie sie wirklich geklungen hat. Die hatten wir nämlich zunächst selbst mit einem Kassettenrekorder aufgenommen, so ein Saba-Teil, mit zwei eingebauten Mikrofonen. Total billiges Zeug. Klingt aber trotzdem oder gerade deswegen gut. Und dann sind wir ins Studio gegangen, wo so ein Jazz-Rocker hinter den Reglern saß. Der verstand gar nichts von unserer Musik. Da trafen zwei Welten aufeinander. Und als wir dann hinterher die Aufnahme über unsere Anlage gehört haben, waren wir einfach nur enttäuscht. Vollkommen überproduziert, mit so einem ekligen Hall. Nichts von dem Garagensound, den wir uns eigentlich vorgestellt haben. Aber okay, die Leute fanden es trotzdem ziemlich geil. In den Spex-Charts stand der Song sogar auf Eins. Uns war das egal, denn das waren wir einfach nicht.
Es gab noch einen anderen wichtigen Song, wahrscheinlich der bekannteste von Euch: „Bundeswehr“. Davon existiert auch ein Video, das in einer Schnapsbrennerei gedreht worden und in dem Film „Deutsche Welle“ von Michael Bentele zu sehen ist.
Das war ein Live-Video und das klang gleich ganz anders. Der hat einfach gesagt, wir machen das jetzt ohne Playback, weil ihr gut spielen könnt und auch die richtige Ausstrahlung habt. Ich habe sofort gesagt: „Ja, genauso machen wir das.“
Bei Zickzack war jedoch ein ganzes Album geplant. Warum ist das nicht erschienen?
Ja, das ist sehr schade, dass es dazu nicht mehr gekommen ist. Denn die Songs, die wir hatten sind sehr atmosphärisch und für den Punk dieser Zeit irgendwie archetypisch. Und sie hatten oft eigenwillige Arrangements. Der stolperige Eingangsgroove von Bundeswehr ist so ein Beispiel dafür. Wir wollten immer den ganzen Rock aus unserer Musik rausnehmen, was nicht einfach war und ja auch eigentlich gar nicht ging. Schließlich spielten wir mit Gitarre, Bass und Schlagzeug. Aber wie gesagt: Wir fanden ja die Single-Aufnahmen richtig schlecht und hatten Hilsberg auch gefragt, ob er das Ding wieder zurückziehen könnte. Das ging dann immer so hin und her, und darum hat er auch irgendwann so ein bisschen den Drive mit uns verloren. Wir sollten zwar immer noch ins Studio, Zickzack hatte aber wieder kein Geld, und dann sind wir irgendwann weggezogen – wie das halt immer so ist, wenn man so um die 20 ist. Einen großen Knall gab es jetzt nicht, das hat sich dann einfach totgelaufen. Die Kassette mit alten Aufnahmen von 1979 hatten wir aber noch. Diese Aufnahmen wurden 2012 von Überfall Records und Fin du Monde veröffentlicht. Das kleine New Yorker Plattenlabel Wild Isle hat dann noch „Bundeswehr“ und „Keiner kann uns ab“ in den USA rausgebracht. Den Amis hat’s gefallen. Die Songs wurden auf amerikanischen Punkrocksendern rauf und runter gespielt.
Hatte der nachlassende Elan vielleicht auch mit dem um sich greifenden NDW-Hype zu tun? Es kam ja dann auch sehr schnell aus Eurem Umfeld der Vorwurf der Kommerzialisierung auf.
Das war auf jeden Fall auch ein wichtiger Grund, weil sich das Ganze ja in eine unrühmliche Richtung entwickelt hatte. Diese NDW-Bands, also die fanden wir fürchterlicher als alles andere. Wenn du in deiner eigenen Sprache singst, was ja Ende der Siebziger, so gut wie gar nicht vorkam, und wenn Du dann siehst wie plötzlich aus all dem, was dir wichtig ist, so ein Kasperltheater wird, dann ist das schon frustrierend. Aus dem Grunde tue ich mich auch sehr schwer damit, wenn wir mit NDW in Verbindung gebracht werden. Weil, das sind wir zwar in gewisser Weise, aber NDW erste Version. Oder, wie kürzlich zu lesen war, es war die neue deutsche Welle vor der Neuen Deutschen Welle.
Ihr habt Euch im Jahr 1978 gegründet. Wem ist denn die Idee zu dem ungewöhnlichen Bandnamen gekommen?
Ich glaube, die kam von mir, weil unseren Kumpel, der früher immer dabei war, Brause, eigentlich unsere Nummer Vier, den haben wir immer Brausepöter genannt. Das Wort gefiel uns. Und wir wollten ja unbedingt einen Namen haben, der nicht englisch ist und der was mit uns zu tun hat. Das ist halt auch so ein typisch ostwestfälisches Wort. Also bei uns kennt das jeder. Du kennst das wahrscheinlich nicht…
Ich kenne zwar „Pöter“, aber „Brausepöter“? Nein, nicht wirklich…
Brausepöter meint halt eher so Schwachkopf. Und so haben wir uns dann genannt, obwohl ich den Namen kurze Zeit später schon wieder doof fand. Und ich finde ihn auch nach wie vor doof – ist mir zu lustig. Wir sind ja keine lustige Kombo, auch wenn unser Name das vielleicht nahelegt. Vorher hießen wir übrigens Nordwestdeutsches Eiterlager, kurz NWE, was ich ja immer noch sehr gut finde, so würde ich viel lieber heißen. Aber wir sind dann doch bei Brausepöter geblieben.
Wie seid Ihr damals in Eurem unmittelbaren Umfeld angekommen? Auf dem Land hat man mit solcher Musik und dem entsprechenden Auftreten ja sicherlich noch mehr Aufsehen erregt als in der Stadt, oder?
Ja, das stimmt. Brause und ich waren auch die ersten mit gelben Haaren bei uns im Kaff. Die Leute haben gedacht, wir sind verrückt geworden. Sie konnten sich das nicht anders erklären, denn von Punk hatten sie noch nie was gehört. Brauses Eltern hatten ein Lebensmittelgeschäft, in dem er immer bedient hat. Wegen seiner gelben Haare und seinem ganzen Aussehen haben sie sich so geschämt, dass er den Laden nicht mehr betreten durfte. So war das damals. Am Wochenende waren wir immer in Bottrop in einer leerstehenden Wohnung. Da stand ein Klavier. Dort entstanden die ersten Brausepöter-Songs. Brause und ich waren ein verschworenes Team, gegen den Rest der Welt. Der von Punkrock keine Ahnung hatte. Brause hat sich später das Leben genommen. Ich werde ihn nie vergessen.
Wenn man als Außenseiter wahrgenommen wird und kaum Verbündete hat, schweißt das natürlich zusammen. Wo konntet Ihr mit Eurer Musik und dem Lifestyle letztlich andocken?
Bernd, unser Bassist, ist damals mit einer Kassette von uns nach Herford gefahren, in die Scala. Und die meinten zu ihm: „Ja, genau solche Bands suchen wir. Wir wissen gar nicht, wo wir die herkriegen sollen.“ Und wir dachten erst, dass wir mit unserer Musik nirgendwo auftreten könnten, dass das niemanden interessieren würde. Weil bei uns waren die alle so auf dem Pink Floyd-Trip. Wir haben uns für vollkommen anders gehalten, wobei, wenn man ehrlich ist, das vielleicht gar nicht so stimmt. Die ganzen Rockschemata sind ja genreübergreifend vorhanden. Aber wenn du das aus dem damaligen Kontext heraus betrachtest, unsere Musik mit deutschen Texten, die über unsere unmittelbare Umwelt und uns selbst handeln, Songs, die nicht 25 Minuten dauern, sondern nur zwei oder drei – das waren schon verschiedene Welten.
Wie hast du denn Euren ersten Auftritt mit Brausepöter in Erinnerung?
Der war in der Scala. Die hatten gerade neu aufgemacht. Den Club gab es auch eigentlich schon länger, da hat Jimi Hendrix gespielt, The Who, solche Kaliber. Nach der Wiedereröffnung hatten die auch ein neues Schild, „New Scala Wave“ stand da drauf. Das war völlig aus der Reihe, so etwas gab es sonst nirgendwo anders in unserer Gegend. Eine Woche vor uns ist da die erste Band aufgetreten, Zeltinger aus Köln. Und dann kamen auch schon wir, zusammen mit Fred Banana Combo. Wir haben dann auch öfter dort gespielt, waren sozusagen die Hausband. Die meisten Punkrock-Bands aus dieser Zeit sind irgendwann dort aufgetreten. ZK, die Toten Hosen-Vorgänger-Band, Abwärts und Hans-A-Plast zum Beispiel. Und Alfred Hilsberg, der hing ja auch ständig dort rum. Genauso wie die spätere Ostwestfalen-Hamburg-Verbindung: Begemann, Spilker, Distelmeyer, La Hengst und wie sie alle hießen. Die kommen ja alle daher und sind in der Scala mit Punk und New Wave sozialisiert worden.
Hilsberg hat ja auch die legendären Zickzack-Festivals in der Hamburger Markthalle organisiert, wo ihr ebenfalls aufgetreten sein. Wann war das?
Das war im Dezember 1980. Wir haben da zusammen mit den Radierern gespielt, der Partner-Kombo von The Wirtschaftswunder, die kommen beide aus Limburg. Und Abwärts sowie den Einstürzenden Neubauten.
Die Stimmung soll explosiv gewesen sein, wie man in dem Buch von Jürgen Teipel „Verschwende deine Jugend“ nachlesen kann. Was ging denn da bei Euch ab?
Also bei uns war das so: Abwärts war die einzige Band, die beim Publikum akzeptiert war. Die kamen aber erst zum Schluss. Wobei, stimmt nicht ganz: Einstürzende Neubauten haben noch danach gespielt. Es war ihr erster Auftritt außerhalb Berlins. Da war die ganze Markthalle aber schon fast leer. Es waren nur noch 30 Leute da und ich stand mittendrin. Das war wie eine Mondlandung, bei der man zufällig dabei war. So was hatte ich noch nie gesehen: wie die auf ihren Instrumenten rumgekloppt haben, mit diesem archaischen Industrial-Sound, unglaublich.
Und wie seid Ihr mit Brausepöter angekommen?
Wie gesagt: Abwärts waren akzeptiert. Ansonsten war das Festival beim Publikum nicht wohl gelitten. Die Hamburger Punks waren auch stark von der britischen Szene geprägt; da ging es sehr ruppig zu. Ob sie Die Radierer von der Bühne geholt haben, weiß ich nicht mehr. Ich meine, ja. Wir sind jedenfalls eisern geblieben. Ich habe denen gesagt: „Macht, was ihr wollt, wir spielen unser Set hier durch“. Und die haben uns vielleicht angerotzt, das glaubst du nicht. Ich war nass! Von oben bis unten. Und dann gibt es auch noch ein Foto, wie ich eine volle Bierdose vor den Kopf kriege. Ich habe geblutet wie sonst was. „Keiner kann uns ab“ in Reinkultur.
Man hätte ja denken können, dass Euch sowohl musikalisch als auch mental mehr verbindet, so innerhalb der Punkszene, nicht?
Ja, wie das häufig so ist: Die Feindschaft innerhalb ist oft größer als außerhalb der Szene. Das war schon heftig. Und nach dem Auftritt ging es weiter, das war fast noch schlimmer. Wir haben unsere Klamotten von der Bühne abgeräumt und mussten dann mit einem Fahrstuhl runterfahren. Und unser Bassist hatte an seiner Bassbox, die er heute noch spielt, einen HSV-Aufkleber kleben, der auch gut zu sehen war. „Sag mal, spinnst du, oder was?“, habe ich zu Bernd gesagt. „Hier sind alle St. Pauli-Fans!“ So stellte ich mir das jedenfalls vor. Wir sind ja Anhänger von Arminia Bielefeld, einem Verein, der noch nie was gewonnen hat. Genauso wenig wie wir. Mit den Hamburger Rivalitäten kannten wir uns da nicht so aus. Dann haben wir jedenfalls sehr lange in diesem Fahrstuhl gesessen und gewartet, bis wir dachten, dass es unten leer war. Wir hatten echt das Gefühl, die warten nur auf uns, am Fahrstuhl-Ausgang, um uns zu verprügeln.
Was ist Dir sonst noch in Erinnerung geblieben – außer diesem einprägsamen Bühnen- und Fahrstuhl-Erlebnis?
Blixa Bargeld. Wir haben am nächsten Tag im Bandhotel gefrühstückt – und dann kam Blixa Bargeld rein. Der sah aus! Der hatte eine ganz andere Aura, und eine abgefahrene Frisur: hochstehend, so New Romantics. Ganz stark geschminkte Augen. Und eine Domestos-Hose, die hatte zu der Zeit ja noch niemand an. Der sah abenteuerlich aus. Vor den Neubauten hatte man Respekt. Die kamen aus der Mauerstadt, da war alles noch ein bisschen extremer. Weil die sonstige Szene, die kannten wir natürlich: Düsseldorf und so, Hamburg auch. Aber das mit den Einstürzenden Neubauten, das war etwas völlig anderes.
Die Szene war damals stark regional geprägt: Es gab Hamburg, hast Du eben angesprochen, dann natürlich Düsseldorf und den Ratinger Hof, Berlin, aber auch Hannover. Was hat euch verbunden, was getrennt?
Also in Hamburg ist der Punk ja zuerst reingelaufen, ist für mich auch ganz klar mit Zickzack verbunden. Ich habe für Hilsberg Flyer verteilt und Plakate geklebt. Dann Düsseldorf, klar, das war mit diesem Kunst-Touch, mit der Verbindung zur Akademie, das fand ich auch immer sehr spannend. Der Plan und sowas. Und Berlin war immer so ein fieses Zeug, musstest du halt auch immer erst hinfahren. Aber Punkrock, das war sowieso keine reine Freude. War oft ziemlich aggro.
Und Hannover?
An Hannover sind wir ja recht nah dran gewesen. War aber jetzt auch nicht so eine große Stadt. Erstaunlich, dass da so viel her kam. Ich verbinde damit im Rückblick hauptsächlich Hans-A-Plast. Die fand ich natürlich spitzenmäßig, das war dann auch richtig schöner Punkrock.
Über diese Abgrenzungstendenzen innerhalb der Szene haben wir ja schon kurz gesprochen. Auf mich macht das von außen betrachtet auch den Eindruck, als ob da eine große Ernsthaftigkeit an den Tag gelegt wurde. Dagegen scheint ihr die Sache etwas lockerer angegangen zu sein. Jedenfalls klingt für mich bei Brausepöter mehr Spaß an der Sache durch und auch eine Offenheit gegenüber verschiedenartigen Einflüssen: Ska, Punk, aber auch die verteufelte Rockmusik schimmert durch. Siehst Du das auch so?
Ja, wobei das bei uns ganz bestimmt auch daher kommt, dass wir vom Land sind. Deshalb gab es für uns auch keine Notwendigkeit, uns innerhalb einer Szene abgrenzen zu müssen. Bei uns gibt es nämlich gar keine Szene. Es ist eher so, dass wir uns gegen alle anderen abgegrenzt haben. In der Großstadt umgibst du dich ja in der Regel nur mit Leuten aus deiner Blase. Die Leute bei uns, die interessieren sich überhaupt nicht dafür, was du da mit deinem scheiß Punkrock machst.
Wie viele andere deutsche Bands Ende Siebziger habt Ihr Euch in musikalischer Hinsicht an Bands aus dem britischen und amerikanischen Raum orientiert. Gesungen wurde aber in Deutsch. Wie wichtig war das für Euch?
Es war das A und O. Das, was den Unterschied zur bisherigen Musik ausmachte. Die hatte für uns nichts Eigenständiges, nichts Wahrhaftiges – sie äffte nur nach, was aus England oder den USA kam. Für mich macht sich eine Band auch verdächtig, wenn die nicht in der Sprache singt, in der sie spricht. Oder denkt. Oder träumt. Okay, wenn man den Gesang als Instrument betrachtet, von mir aus. Aber wenn das nur was mit Nachahmung zu tun hat, dann finde ich das fürchterlich.
Die Texte Eurer alten Songs beschäftigen sich oft mit Ausgrenzung und das damit verbundene Gefühl von Fremdheit („Keiner kann uns ab“). Es geht um Orientierungslosigkeit und darum, gesellschaftlichen Erwartungen nicht entsprechen zu wollen („Immer der gleiche Scheiß“). Kannst Du Dich, wenn Ihr diese Songs im fortgeschrittenen Alter spielt, weiterhin damit identifizieren?
Ja, kann ich. Weil ich fühle mich eigentlich noch genauso wie früher. Deswegen finde ich ja auch die Texte immer noch ganz passabel. Irgendjemand hat auch mal geschrieben, das höre sich an, als ob ich von einer Depression umtrieben wäre. Positiver ausdrückt kann man es vielleicht melancholisch nennen. In der Realität ist das wahrscheinlich so ein Mischmasch an Gefühlen. Fakt ist: Ich singe gerne über mich. Und ich habe immer noch die gleichen Animositäten. Ich verspüre bei vielen Dingen weiterhin das gleiche Befremden. Das ist zwar nicht schön, ist aber so. Auch wenn ich mich mittlerweile mit vielem arrangieren kann, es fällt mir leichter als früher.
Wie entstehen denn Eure Songs, ist das ein Gemeinschaftswerk oder gibt es da eine klare Rollenaufteilung?
Ja, das ist interessant. Früher sind die Songs oft so entstanden, dass ich die komponiert habe, alleine und nur für mich. Auf der Gitarre oder auf dem Klavier. Und auf der Basis habe ich dann den Jungs auch meistens vorgegeben, was sie spielen sollen. Ich hatte da feste Vorstellungen. Heute läuft das anders. Wir gehen einfach in den Proberaum und nach dem „Üben“ fangen wir irgendwann an zu jammen. Und dabei entstehen dann die Songs. Ich kann das auch sofort aufnehmen, weil ich so einen Fußschalter habe, und da drücke ich dann unangekündigt drauf, wenn es gut läuft. Bevor die beiden merken, dass ich aufnehme, ist die Aufnahme auch schon im Kasten. Und wenn ich jetzt sagen würde, lass uns das noch einmal aufnehmen, dann kommt da nichts bei rum. Weil dann alle denken, ich spiel jetzt erstmal so, dass ich keine Fehler mache – also auf Sicherheit. Und schon ist die Leichtigkeit und das Ungestüme weg. Man kann also sagen: Wir nehmen unsere Songs in dem Moment auf, in dem sie entstehen. Die Texte schreibe ich hinterher und singe dann über diese Aufnahmen.
Lass uns in die Zukunft blicken: Wie geht es weiter mit Brausepöter, wie sehen Eure musikalischen Pläne aus?
Wir machen einfach immer so weiter, solange es uns möglich ist. Und wir haben auch wieder so viele neue Songs angesammelt. Das ist schon fast eine Katastrophe, weil ich die kaum noch handeln kann. Das nächste Album ist auch schon fertig. Ob wir dann damit Erfolg haben, ist nicht so wichtig. Wir spielen eh nur für uns.
Und woran knüpft Ihr mit den neuen Sachen an? Eure letzte Platte „Nerven geschädigt“ (2019) klang ja vom Sound her schon anders als „Selbstauslöser“ – weniger Rock, mehr Wave. Wie ist es jetzt?
Das ist schwer zu sagen. Material für ein Album haben wir seit längerem in der Schublade. Die Stücke sind auch teilweise schon einige Jahre alt. Was die verbindet, ist, dass das jetzt alles Session-Songs sind. Und wenn Du jetzt „Wave“ sagst, dann ist natürlich die Frage, was damit gemeint ist. Wenn Du die ganz frühen Wave-Bands meinst, dann kann ich da mitgehen, also Talking Heads zum Beispiel oder Devo. Damit kann ich mich identifizieren. Aber noch einmal: Wir haben so viele neue Songs, dass die auch schon wieder nicht über einen Kamm zu scheren sind. Deshalb hatten wir auch die Idee, die in unterschiedlicher Form zu veröffentlichen. Die ganz neuen Sachen, die sind jetzt auf der EP. Und das ist jetzt auch nicht so weit entfernt von dem Sound auf „Nerven geschädigt“. Die etwas älteren Songs, die eher groovy und tanzbarer sind, die werden im kommenden Jahr auf einem Album erscheinen.
Was hat Euch denn dazu gebracht, das in umgekehrter zeitlicher Reihenfolge zu veröffentlichen?
Ganz einfach: Wir haben die EP gemacht, weil das mit dem Plattenpressen so kompliziert ist. Die Veröffentlichungszyklen für ein Album, die dauern heutzutage so lange, dass du auf diesem Wege eigentlich gar keine aktuellen Songs mehr rausbringen kannst. Die EP ist ein reines Digital-Release, das kann man ja schnell machen, ohne Verzögerung. Wenn man aber auf Vinyl geht, dann dauert das ewig. Diesen Zyklus wollten wir jetzt einfach mal durchbrechen, indem wir das ganze analoge Zeugs weggelassen haben. Ansonsten fühlt sich das für mich so an, also ob ich einen Liebesbrief geschrieben hätte, den ich mir ein Jahr später noch einmal durchlese. Das entspricht dann nicht mehr meinen aktuellen Gedanken und Empfindungen.
Ist schon klar, auf welchem Label das neue Album erscheinen wird?
Nein. Theoretisch könnten wir das auch alles selber rausbringen, das ist ja heutzutage kein Problem mehr. Andererseits bringt es auch nicht viel, wenn es keiner sieht. Daher müssen wir mal schauen, das ist noch offen.
Dafür und für die weitere Reise von Brausepöter alles Gute, Martin! Ich danke Dir für das Gespräch und die Zeit, die Du Dir genommen hast!
Interview und Story: Marc Wilde
Im Rahmen von Marcs Reihe “NDW – Die Zukunft ist Vergangenheit” erschien bereits ein ebenso ausführlicher Talk mit Peter Hein.