Record of the Week

Die Heiterkeit „Schwarze Magie” (Buback)

Die Heiterkeit, „Schwarze Magie” (Cover courtesy of Buback)

Die Heiterkeit
„Schwarze Magie”
(Buback/Indigo/Zebralution)
Es gibt diese ganz großen Gefühlsmusiken, das waren mal und sind noch immer für mich neben Jüngeren und vor allem Überlebenden, etwa die Jacobites (Nikki Sudden, Dave Kusworth, Epic Soundtracks)

Letztes Jahr flammte dieses Empathiefeuer vor allem live bei mir ganz kräftig auf, freilich ohne feuerzeugschwenkende Jugendnostalgie, sondern als triumphales Hier und Jetzt, als wir im langen Sommer erst bei Beth Gibbons in Berlin und dann bei Nick Cave in Oberhausen waren. Dieses kathartische Schluchzen, Heulen und Schlucken, welches dann in Grinsen, Leichtigkeit und auch Transzendenz kippt, widerfährt mir persönlich auch immer wieder bei Stella Sommer ‚solo‘ zumeist auf Englisch und als ‚Band‘ mit ihren verschiedenen, sehr indie-prominent besetzten Heiterkeiten (und auch mit Drangsal als Die Mausis) zumeist auf Deutsch. Auch auf dem wundervollen letzten Heiterkeit-Album „Was passiert ist“ aus 2019 befand sich solch ein fulminanter Gänsehautsong mit Indie-Hitcharakter, den ich schon bei Nicht-Hochzeiten enger Freund*innen auflegte: Das hymnische „Jeder Tag ist ein kleines Jahrhundert“ ist solch ein Heulsong deluxe wie von den oben Genannten etwa der Jacobites‘ „Son of a French Nobleman“, „Silver Street“ („And Jodie, she’s as pretty as your mother used to be, as pretty as your mother used to be, you just don’t know“, auch schon von Mercury Rev und Jeremy Gluck gecovert) oder New Orders „Sunrise“, „Sub-culture“ („One of these days you’ll go back to your home, you won’t even notice that you are alone“).

Wobei Stella Sommer zwar auch eine gewisse Nähe zum Indie Soul des genanntem Epic Soundtracks solo oder einer Laura Nyro zu erkennen ist, gegenüber den anderen antibombastischen Tränenliedern aber eher soulig, orchestral, irgendwie noch samten dunkler wirkt, fraulicher als selbst die androgynen einstigen Jungs Sudden, Kusworth oder Soundtracks. Zudem haben Sommer und Die Heiterkeit bei allem Pathos auch ein kräftiges Augenzwinkern und sehr viel flirrendes Referenzgestrüpp mit im Gepäck, manchmal ostentativ, manchmal versteckt. So gilt es, die Songs und Ebenen zu entdecken. Wie durch Landschaften wandere ich hindurch und bin überrascht, höre auch Erwartetes, vielleicht Erhofftes, was mich tröstet: „Im kalten Februar Regen, schlägst Du mir entgegen“, wer bitte hat das noch nicht gefühlt? Ich meine, unter den klar oder verdeckt Empfindsamen, nicht den hypersensibel Überempfindlichen (Narzisst*innen) oder Erkalteten (Diktator*innen, Terrorist*innen, Tote). Kälte spielte in Sommers Musik und vor allem deren journalistischen Beobachtungen stets eine Rolle, eine gute. Wärmer denn je ist nunmehr die „Schwarze Magie“ oder besser ‚wirkt‘ sie, über zwölf zumeist über 5-minütige Songs hinweg. Auch erzeugt durch Sprengsel von Folk, Country, Swamp Blues, New Wave („Wir erholten uns vom Fieber“), NdW (mit kleinem D und viel Gudrun Gut), Liedermacher*innen, irgendwie auch gutem, intelligenten Schlager (Melanie, Hildegard Knef usw.).

Und waren wir nicht alle irgendwann mal ein bisschen Gothic? Aus all dem etwas Gutes, das strahlt, einlullend schön-düster-schwebende Texte, amalgamierend im Songbook von Die Heiterkeit. „Wie man ein Gespenst heilt, wenn es nicht mehr spukt“ berührt dann vorläufig endgültig und erklärt sowohl die Sympathie für Zeitrelationen als auch für Hauntology. „Vielleicht weiß es mehr als ich, vielleicht vermisst es Dich.“ Der Denker der vorläufigen Endgültigkeit ist gegangen, meine Liebe bleibt, die Sonne scheint, das Rotkehlchen hüpft durch den Garten. Und die Schwachköpfe des Autokratismus und Despotismus wüten weiter stumpf, während Sommer in „Teufelsberg“ leuchtend hindurch singt, „Manchmal merkt man erst, dass man einsam war, wenn man es nicht mehr ist“. Ich schlucke, schluchze und weine. Beinahe.

 

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